
Was für ein fantastischer Abend: Reife Bordeaux werden verkostet, und das wird überaus spektakulär. Der Hintergrund: Ein Freund entdeckt in seinem Keller einige schon lange liegende Bordeaux-Weine und beschließt, die endlich zu probieren. Ich bin bei der Sechser-Runde dabei (Danke Theo!).
Überraschung: Es gibt es nur einen wirklichen Durchfaller. Alle Weine sind mindestens trinkbar, die meisten mit Genuss und einige mit Hochgenuss. Wir reden über Bordeaux, die 25 Jahre und manche viel älter sind. Der älteste Wein ist Jahrgang 1952.
71er Cheval Blanc ganz groß

Es gibt einen Sieger, nahezu einstimmig: 1971 Chateau Cheval Blanc, ein großer Name, 1er Grand Cru Classé. Der leicht bräunlicher Rand stört nicht, er ist das einzige Zeichen von Alterung. Ansonsten: Tolle Präsenz, sicher nicht mehr frisch, aber bestens in Form. Wir entdecken Schokolade, Nougat, Beeren-Aromen, weiche Tannine, Eleganz. Ein echtes Erlebnis. Man muss es sich vergegenwärtigen: Der Wein ist 54 Jahre alt! Reife Bordeaux ist da untertrieben. Übrigens, auf diversen Plattformen wird dieser Wein aktuell zwischen 450 und 900 Euro gehandelt.
Über 30 Jahre alt und top in Form

Dicht dahinter (bei manchen gleichauf) zwei weitere Highlights der Kategorie reife Bordeaux. 1996 Chateau Grand Puy Ducasse und 1993 Chateau Montrose. Der Grand Puy Ducasse ist noch voller Leben und ohne Schwäche. Kein Alter, keine Jugend, rund, elegant, würdevoll. Frucht-Aromatik, aber ganz dezent. Ähnlich Begeisterung erntet der Montrose. Auch der zeigt sich noch ganz groß in Form, hat sehr angenehme Rest-Tannine. Wir entdecken Holunder, und Paprika. Auch der perfekt balanciert, ein Muster an Eleganz. Fast genau so viel Freude bereitet der 1992 Chateau La Louviere. Hier fallen Wald-Aromen auf, Moos, überreife Beeren. Auch hier: elegant, rund, weich, macht Freude. Der 1980 Chateau Belgrave zeigt auch noch Präsenz, fast extrem die Aromatik nach Holunder und Paprika. Ein runder Wein der keinem weh tut. Aber im Vergleich zu den anderen fehlt doch etwas.
Goldene 2000er

Im nun folgenden einem Dreier-Flight kommen drei Weine der Jahrgänge 2000/2001 zum Vergleich. 2000 war in Bordeaux ein toller Jahrgang. Kein Wunder also, dass sich der 2000 Chateau Du Bois Favereau (ein Supérieur) und der 2000 Chateau Vieux Maurac stark präsentieren. Der Du Bois Favereau wirkt etwas runder, der Vieux Maurac hat deutlich mehr Power. Alle die, die den 2000er Bordeaux schon ausgetrunken haben, kann man nur bedauern. Der 2001 Pages Novertas, ein St. Emilion Grand Cru, kann da nicht ganz mithalten, ist aber auch noch gut trinkbar.
Am unteren Ende der Skala

Jetzt genug der Euphorie, nicht jeder der reifen Bordeaux strahlt spektakulär. Der 1952 Chateau Mouton d’Armailhacq (das Weingut heißt seit 1989 Chateau d’Armailhac) hätte der Höhepunkt sein können – oder aber der Tiefpunkt. Nichts von beiden. Der 73 Jahre alte Wein ist noch trinkbar, macht aber keine Freude mehr. Er wirkt schon alt (braun, aber klar), schmeckt alt (Cognac-Ton, wenig Wein) und ist halt alt. Kurz gefasst: trinkbar ja, Genuss nein. Ach ja, das Etikett: Der Wein wurde wohl einmal umgefüllt und behelfsmäßig neu etikettiert.
Am unteren Ende der Skala notieren wir den 1969 Chateau Giscours. Klare medizinische Töne, Stichworte wie Kommodenlack und Fagusan fallen. Schwer genießbar, der einzige Durchfaller. Auch einen Tag später, wo sich bei Rotwein so manches Problem erledigt, schmeckt er kaum besser.
Fazit: Alles in allem eine denkwürdige, spektakuläre Verkostung reifer Bordeaux (die letzte ist schon lange her…). Ich kann es nicht oft genug sagen: Die meisten Weine werden viel zu früh getrunken. Die Verkostung der reifen Bordeaux war wieder mal das beste Beispiel.
Sieben Tage später…
Nachricht von Gastgeber Theo, sieben Tage nach der spektakulären Verkostung:
Nachverkostung heute, nach 7 offenen Tagen. Chateau Mouton d’Armailhacq mit Schokoladennoten, kräftigem Auftritt, reichlich Tanninen und jetzt alles andere als ein alter Kerl auf der Mitleidschiene. Gewonnen hat Chateau Belgrave, der sich jetzt überaus trinklustig zeigt. Grand Puy Ducasse hat sich mit leichtem Petrolnote in die zweite Reihe verdrückt. Chateau La Louviere schwächelt mittlerweile.

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