Vinho Verde 2.0? Was soll das? Beim Thema Vinho Verde ist doch alles klar. Die Mutter aller portugiesischen Weißweine ist spritzig, fruchtig, moussiert leicht, hat eine charmante Säure und wenig Alkohol. Ein Klassiker im Sommer, bei mir seit Jahren schon. Was kann da noch kommen? Bin auch mal auf gereifte Vinho Verde gestoßen, schon überraschend. Doch das war nichts gegen das, was ich unlängst probieren konnte. Vinho Verde, die ganz anders sind als bisher gewohnt. Eine ganz neue Stilistik. Vinho Verde 2.0 halt, um mal aktuellen Sprech zu bedienen. Ich war verblüfft, überrascht, teils auch begeistert. Vinho Verde – alles klar. Von wegen.
Um diese Weine geht es
Pet Nat Loureiro 2023 – Quinta d’Amares

Theoretisch sind ja die „klassischen“ Vinho Verde alle irgendwie Pet Nats. Doch dieser Pet Nat von der Quinta d’Amares ist einer der originellen Art, unfiltriert und ohne Zusatz von Sulfiten. Das Wort der Rebsorte Loureiro ist in Portugal auch Synonym für Lorbeer, und tatsächlich erinnert dieser Pet Nat an Lorbeerblätter, überhaupt fällt die Kräuter-Aromatik auf. In der Farbe naturtrüber Apfelsaft, in der Nase Hefe; dann noch die spannende Kohlensäure – Bingo.
Die Quinta d’Amares ist mit 50 Hektar ein großer Familienbetrieb in der Unterregion Cavaro im Herzen der Vinho Verde-Region.
Pequenos Rebentos O Principe e o Bandido Pet Nat Rosé 2023 – Márcio Lopes

Der doch sehr sperrige Name des Pet Nat Rośe ist ein origineller Hinweis auf das Projekt „Die Prinzessin und der Bandit“. Gibt es seit 2021 und die Rollen sind klar verteilt, exakt 50:50: Prinzessin ist der weiße Alvarinho (filigran) und Bandit ist der rote Vinhao (rustikal). Lassen wir mal so stehen. Tatsächlich ein rätselhafter Wein, merkwürdige Farbe, unfiltriert, im Geschmack neben einem dutzend anderer Aromen auch auffällig eine gewisse Salzigkeit. Der Wein erzählt viele Geschichten, es gibt nur maximal 4000 Flaschen.
Winzer Márcio Lopes betreibt ein Weingut in Melgaço ganz oben im Norden Portugals, er hat auch noch andere Güter im Land. Früher hat die Oma die Weine gemacht, ausschließlich für die Familie. Wie mögen die wohl geschmeckt haben?
Terramatter Alvarinho 2023 – Quinta do Soalheiro

Alvarinho soll ja Portugals Antwort auf den Riesling sein. Steile These. Der von Terramatter ist saftig, trüb, hefig und hat wenig mit einem Riesling gemein. Eher mit einem Naturwein, bei dem die Rebsorte kaum erkennbar ist. „Der Terramatter Alvarinho wird mit der geringsten Intervention in den Weinbergen und der Vinifizierung erzeugt und ist ein ursprünglicher Ausdruck unseres Landes“, teilt das Weingut mit. Glaube ich sofort. Das Ergebnis ist ein überaus spannender Naturwein, gereift zum Teil in Kastanienfässern, bei dem ich zuallerletzt an Riesling denke. Eher an Austern, die mir als perfekte Partner erscheinen.
Die Quinta liegt am nördlichsten Punkt Portugals und war einst ein sehr kleines Gut, das Weine nur für Freunde produzierte. Mittlerweile werden 18 ha Reben bewirtschaftet und einiges auch zugekauft.
Daphne 2021 – Aphros Wine

Wieder so ein außergewöhnlicher Wein, der die Konsumenten spaltet zwischen toll (zum Beispiel ich) und schrecklich (zum Beispiel ein Freund). Erfreulich nur 10,5% Alkohol, null Gramm Restzucker, gefühlt aber leicht süßlich. Ein Wein mit dutzenden Gesichtern.
Aphros Wine gibt es erst seit 15 Jahren, seit 2014 wird biodynamisch gearbeitet. „Früher“ – bei dem jungen Betrieb ein merkwürdiger Begriff – sind die Weine komplett im Holz gereift, jetzt passiert das ausschließlich in Beton-Eiern. Der Besitzer Vasco Croft kommt aus Lissabon, ist lebenslanger Schüler Rudolf Steiners und so ein passionierter Biodydamiker. Eine Begegnung mit einem buddhistischen Mönch hat schließlich das Interesse für Wein geweckt. Wundert mich alles nicht.
Colinas do Avesso 2018 – Quinta da Lixa

Munter geht es weiter mit ungewöhnlichen Weinen. In der Quinta da Lixa widmet sich Winemaker Carlos Teixeira der raren Rebsorte Avesso (nur 4% im Gebiet). Seine Idee: Zurück zu den Methoden, mit denen früher Wein gemacht wurde. Nach der Fermentation lange Kontakt mit den Schalen, dann 3 Jahre Reife im Stahltank (das gab’s früher sicher nicht). 2021 abgefüllt und weitere drei Jahre Flaschenreife. Ergebnis ist ein spannender Wein mit riesigem Reifepotenzial. Carlos Teixeiera: „Dieser Wein ist eine der größten Überraschungen, die du auf dem Tisch haben kannst.“
Die Geschichte von Quinta da Lixa begann im Jahre 1986, als zwei Familien die in Lixa ansässige Kellerei gründeten. 1994 startete die Mannschaft um den Önologen Carlos Teixeira mit der Eigenvermarktung. Heute gehören neben den 105 ha eigenen Weinbergen auch ein Hotel in den Weinbergen zum Besitz der Familie Meireles, die auf insgesamt sechs verschiedenen Lagen im Vinho Verde-Gebiet verteilt sind.
Covela Avesso Natur 2023 – Lima & Smith

Noch ein Wein der raren Rebsorte Avesso. Auch hier verfolgt Winemaker Rui Cunha die Idee, Weine so wie in der Vergangenheit zu erzeugen. Die Weine werden ohne Schwefel abgefüllt, sind trotzdem stabil. Denn der Schwefel wird von Kastanienblüten ersetzt. Die Blüten werden geerntet, in der Sonne getrocknet, gemahlen und nach der Gärung zugeben. Vergoren wird in alten Holzfässern.
Auffällig ist eine kräftige Aromatik, der Wein ist saftig, Mandarinensaft etwa. Theorie von Winemaker Rui Cunha: Wenn jemand Avesso trinkt, sollte man ihn in Ruhe lassen, denn das entspreche dem Charakter der Rebsorte. Geflügelter Satz im Weingut: „Heute bis du ein bisschen Aresso“
Lima & Smith bzw. Quinta da Covela ist ein kleines Weingut im Südosten von Vinho Verde (nur 3 ha), direkt am Douro. Covela war als erstes Gut im Vinho Verde-Gebiet Bio-zertifiziert, mittlerweile wird biodynamisch produziert. Produziert werden nur 3 Weine, alle sortenrein.
Entusiasta Palheto 2021 – Feel & Soul

Im Glas jetzt ein Rosé mit dem Herkunftsstempel Vinho Regional Minho. Wobei, der Rosé ist gar kein Rosé, sondern ein Rotwein: Pinot Noir. Einer, der es in sich hat. Schöne Frische mit Noten von roten Früchten. Weiche und elegante Tannine, große Komplexität im Mund, trotzdem filigran. Pinot Noir gilt als Rebsorte, die sich nicht in den Vordergrund stellt, sondern das Terroir. Und genau das ist hier der Fall. Dieser Pinot Noir hat mit denen aus dem Burgund oder gar deutschen Spätburgundern nicht viel gemein. Das ist eine eigenständiger Charakterkopf der Kategorie „Du liebst ihn oder die hasst ihn“. Ich liebe solche Charakter-Weine.
Besitzerin der Quinta do Catanheiro (kleines Weingut, nur 25.000 Flaschen), das hinter dem Namen Feel & Soul steht, ist Sandra Fonseca. Sie sagt: „Wir arbeiten nur mit Sorten die wir lieben.“ Da steht ganz vorn offenbar Pinot Noir.
Vinhão 2023 – Passo de Gigante

Jetzt wird es ganz schräg. Der rote Vinhão ist sehr rustikale Rebsorte. Man wolle das Biest zähmen, heißt es von den Winzern. Doch das Ergebnis braucht Zeit. Der erste Eindruck verschwindet bald, ja, es dauert. Nach zwei, drei Tagen meint man, einen ganz anderen Wein zu trinken. Und erst da wird der Vinhão interessant: Der Wein ist jetzt deutlich komplexer, zeigt viel mehr Aromen, ist würzig, vielschichtig. Früchte, Gewürze, Kräuter – alles da.
Die Weine von Passo de Gigante werden auf der Quinta do Paço von zwei „Träumern“ (Eigenbeschreibung), die in ihrer Freizeit Landarbeiter, Önologen und Manager sind, hergestellt: Rui Oliveira und João Pires. Ein Betrieb ohne Webseite, ohne Instagram, nichts mit Social Media. Das Weingut liegt mitten im Vinho Verde-Gebiet und erfüllt alle Kriterien eines Garagenweinguts, modernerer Ausdruck ist Boutique-Winery. Da sind komplette Individualisten am Werk. Die Weine sind naturtrüb und mit Kronkorken verschlossen. Passt irgendwie.

Über Vinho Verde
Die Region – DOC seit 1908! – liegt im Norden Portugals zwischen den Flüssen Douro und Minho, zwischen der grünen Landschaft und der Frische des Atlantiks. Die Region ist wesentlich grüner als der Rest des Landes und deutlich feuchter. Jährlich können dort bis zu 2000 mm Niederschlag fallen. Das bringt Weine mit guter Säurestruktur und geringerem Alkoholgehalt. Die Böden (überwiegend Granit mit zwei schmalen Schiefer-Streifen) sind karg. Die Masse der Weine kommt aus den Ebenen, die spannenden Weine kommen aus der Höhe.
Noch einige Zahlen
Die Rebfläche beträgt aktuell 17.268 Hektar. Es gibt 381 Produzenten bzw. Abfüller und 1400 Weinmarken. 45 Rebsorten sind für DOC Vinho Verde zugelassen. 99 Millionen Liter Wein werden jährlich produziert. Exportiert wird in mehr als 100 Länder.
Bei den weißen Rebsorten dominiert Loureiro (35%) vor Alvanrinho (19%, im Trend), Arinto (18%), Trjajadura (8%), Azal (8%) und Avesso (4%). Die führende rote Rebsorte ist Vinhao (51%)
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