Bin beim Stichwort Minimalschnitt auf den Gustavshof aufmerksam geworden. Minimalschnitt ist im deutschen Weinbau eher selten, viele Betriebe sind skeptisch. Grund genug also für einen Besuch auf dem Gustavshof.
Der Gustavshof liegt in Gau-Heppenheim in Rheinhessen. Andreas Roll führt den 100 Jahre alten Betrieb, Gustav Becker hatte ihn 1924 gegründet, daher der Name Gustavshof. 20 Hektar Rebfläche werden aktuell bewirtschaftet, seit 2012 biologisch-dynamisch. Vertriebsleiter Markus Trapp gibt den Takt vor: „Wir sind Qualitäts-Enthusiasten.“
60 Prozent Piwis

Sie gehören sicher auch zu den Piwi-Enthusiasten, von denen auf diesem Blog schon einige vorgestellt wurden. Auf dem Gustavshof sind 60 Prozent der Fläche mit Piwi-Sorten bepflanzt. 1999 habe alles mit Regent angefangen, dann kam der Johanniter, später Cabernet Cortis und Sauvitage, erzählt Andreas Roll. Doch auch klassische Sorten sind im Anbau, konkret Riesling, Chardonnay Grauburgunder, Silvaner, Spätburgunder, Frühburgunder und Huxelrebe. „Die wichtigste Entscheidung, die zu treffen ist, ist die richtige Rebe auf dem richtigen Boden zu pflanzen“, sagt Roll. Und dann fällt auch schon bald das Stichwort Minimalschnitt.
70 Prozent Minimalschnitt
70 Prozent der Reben auf dem Gustavshof werden mit Minimalschnitt erzogen. „Minimalschnitt heißt, es gibt keinen kein Rebschnitt per Hand, es wächst vor sich hin.“ Hin und wieder, maximal einmal jährlich, werde Hand angelegt, aber minimal. Früher seien die Reben auch geschnitten worden, um Sonne zu sammeln. Roll: „Jetzt ist es ja eher andersrum, weil wir zu viel Sonne haben.“ Gerade die dichtere und stärkere Laubwand sorge für mehr Schatten, was die Verdunstung reduziert und die Bodenfeuchtigkeit erhöhe.
Andreas Roll zeigt eine 2011 angepflanzte Rebanlage und erklärt: „Die Reben stehen in 3 Metern Reihenbreite. Sie haben so mehr Raum und natürlich auch mehr Luft. Es braucht keine Bodenbearbeitung, keine Düngung und keinen Pflanzenschutz.“

„Gleicher Ertrag, kleinere Trauben“
Das klingt alles so wunderbar, dass man sich sofort fragt, warum nicht jeder Winzer zum Zaubermittel minimaler Rebschnitt greift. Tatsächlich habe ich in der Diskussion mit anderen Winzern, auch biologisch-dynamisch wirtschaftenden, Skepsis erfahren. Einige haben damit experimentiert und berichten von zum Teil kompletten Ernteausfällen. Andreas Roll kann das nicht bestätigen. „Der Ertrag ist der gleiche, aber es gibt kleinere Trauben. Und Weißwein hat mehr Dichte bei weniger Alkohol.“ Zudem hätten die Reben eine längere Lebensdauer, da sie nicht durch intensives Beschneiden geschwächt und dadurch Esca (eine Pilzkrankheit, führt zum Absterben der Reben) vermieden wird. Rolls Ziel: „Unsere Weinberge werden 100 Jahre alt.“
Spannende Weine

Natürlich müssen auch Weine probiert werden. Den PetNat von Cabernet Cortis etwa, ein Blanc de Noir. Oder den CrushNat 2023 aus 90% Johanniter und 10% Sauvitage – unfiltriert, ungeschwefelt, spontan vergoren, ein Piwi-Naturwein. Definitiv was für Liebhaber. Oder der Sinnvoll Johanniter 2023 – filtriert, geschwefelt, die Trauben kommen vom ältesten Minimalschnitt. Unbedingt erwähnt werden muss auch der Purist 2020. Ein Cabernet Cortis, geerntet mit 117 Oechsle, weich, samtig, ohne Schwefel, unfiltriert. Lag 10 Tage auf der Maische, dann 2 Jahre im Holz. Mit stolzen 15% Alkohol ein Kerl von einem Wein. In den Beitrag „Neue Wein–Ideen“ gehört der Zero Zero. Wie der Name verheißt: alkoholfrei. Zero Zero ist Traubensaft plus Essig, höchst originelle Erfrischung.
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