Der kultige italienische Weinführer Gambero Rosso präsentierte in Berlin seine 2019-er Ausgabe. Wer den Gambero Rosso nicht kennt: Verschiedene Jurys testen in Blindverkostungen alljährlich mehr als 45.000 Weine Italiens und urteilen nach folgender Bewertungsskala: 1 Glas (bicchiere) steht für gute Weine, 2 Gläser verweisen auf sehr gute bis ausgezeichnete Weine und 3 Gläser schließlich krönen die herausragenden Tropfen. Die Ausgabe 2019 bewertet 2485 Weingüter und mehr als 22.000 Weine.
Erfreulicherweise haben die Signore e Signori vom Gambero nach Berlin einige Winzer mitgebracht – und die ihre Weine. Versteht sich von selbst, dass das Gläser-prämierte Weine waren. Habe mich also quer durch Italien verkosten können – mit dieser Idee:  HINTERHER in den Gambero Rosso schauen und die Bewertungen mit den eigenen zu vergleichen. Die interessantesten Weine – nach den Weißen nun die Roten. Eine nicht ganz leichte Aufgabe. 

Differenzen beim Barolo

Angekommen im Piemont. Beginne sachte mit der „Alltagstraube“ Barbera. Vicara  aus Rosignano Monferrato  hat drei Barbera an Bord: Barbera del Monferrato to Volpuva ’17, Barbera del Monferrato Cantico della Crosia ’15 und Barbera del Monferrato Cascina  Rocca  ’16 – alle bekommen vom Gambero 2 Gläser. Von mir ebenso, auch wenn der Cantico della Crosia leicht abfällt. Broccardo aus Monforte d’Alba stellt den 2016er Barbera d’Alba la Martina ( 2 Gambero-Gläser) vor. La Martina muss sein,  in seiner Weichheit und Saftigkeit ist er ein feines Beispiel für Barbera, bin geneigt, 3 Gläser zu vergeben. Differenzen, nur andersrum, beim Langhe Nebbiolo Il Gio Pi ’16 von Broccardo: Finde ihn gut, aber die Begeisterung fehlt, macht 1 Glas. Der Gambero gibt 2.

Unterschiedlich auch die Urteile zu den Barolos, wo es zuletzt feine Sachen zu entdecken gab. Hier das Urteil etwas gespaltener: Der Barolo Bricco San Pietro aus dem schwierigen 2014-er Jahrgang von Broccardo verdient gewiss 3 Gläser, auch wenn der wohl erst in sechs, sieben Jahren seine volle Reife hat. Der Gambero verteilt 2. Beim Barolo Cannubi von Marchesi di Barolo, auch aus 2014, ist es andersrum. Bei mir steht ein „okay“, mehr nicht, macht 2 Gläser; die Tester des Gambero vergeben Höchstwertung  3 Gläser.

Chianti, wir werden keine Freunde

Nun in die Toskana. Nach den 19 verkosteten Toskanern scheint endgültig klar, dass beim Thema Rotwein die Gambero-Verkoster  anders ticken oder schmecken als ich. Der Gambero-3-Gläser  Morellino di Scansano Ris. ’15 von der Fattoria Le Pupille bekommt von mir 1 Glas, der Chianti Fortebraccio  ’15 von der Tenuta Moriniello hat im Gambero 2 Gläser, bei mir ist 1 Glas notiert.  Der Brunello die Montalcino ’14 (Jahrgang!) von Ridolfi hat mir gar nicht gefallen. Mit den Chianti tue ich mich immer schwerer. Die Einzigartigkeit, die einen Chianti noch bis in die späten1990er Jahre unverwechselbar gemacht hat, ist kaum noch zu finden. Scheint so, dass er immer mehr auf gefällig gemacht wird – Stichwort Weltweingeschmack.  Immerhin: Finde den Chianti Colli Fiorentini ’16 von Lanciola gelungen, der bekommt 2 Gläser, wie im Gambero auch. Die beiden anderen Weine von Lanciola – der 16er Chiantio Classico Le Masse di Greve und der Terricci ’11 (eine Sangiovese-Merlot-Cuvée) –  werden im Weinführer mit 2 Gläsern gewürdigt, bei mir gibt’s jeweils nur 1. Von den vorgestellten Toskanern ist der Il Gobbo Nero ’15  von der Tenuta Moriniello aufgefallen, ein 18 Monate im Holzfass gereifter Syrah. Noch ein Baby zwar, aber ein richtig propperes. Vergebe generös 3 Gläser, vom Gambero kommen 2.

Spannender Süden

Im Süden wird es interessanter. Für einen Freund autochthoner Rebsorten sind die Marken, Apulien, Kalabrien, Basilicata  und Co. ein Dorado. Da ist zuerst der Pergola Aleatico Ortaia ’16 von Terracruda aus dem Marken ins Auge, pardon, in den Gaumen gesprungen. Aleatico ist eine autochthone Rebe und recht selten. Der Wein ist denn auch kein Mainstream-Tropfen – blumig fruchtig, frisch, ein Hauch Süße – bei 0 Gramm Restzucker. Trage 2  Gläser ein, Tendenz zur 3 – der Gambero sagt 2.  Velenosi hat den mit 3 Gambero-Gläsern bewerteten 15er Rosso Piceno Roggio del Filare dabei. Kann man so sehen, ich gebe 2plus.  Die Cuvée Offida Rosso Ludi ’15 bekommt 2, auch im dicken Buch von den Italienern. Aus Umbrien kommt F.illi Pardi. Der 14er Montefalco Sagrantino Sagrantino (doppelt weil aus Einzellage) bringt es im Gambero Rosso auf 3 Gläser – bei mir auch. Ein klasse Wein, individuell, charismatisch. Sagrantino ist auch eine spannende autochthone Rebe, immer ein Gewinn. Der „einfache“ 14er Montefalco Sagrantino von F.illi Pardi steht seinem edleren Bruder nur wenig nach: 2/2.

Blockbuster und mehr

Manchmal neigen die Weingüter im Streben nach Originellen aber zur Übertreibung.  Casale del Giglio aus dem Latium präsentiert Mater Matura ’15, eine Syrah-Petit-Verdot-Cuvée, 24 Monate (!) im Barrique gereift. Ein absoluter Blockbuster. Allerdings schon jetzt trinkbar, aber mit noch langem Leben. 2 Gläser vom Gambero, 2 von mir, wegen der günstigen Lebens-Perspektive des Weins.  Der 16er Cesanese vom gleichen Gut gefällt auch gut (2), im Gambero wird der nicht erwähnt. Nicht ganz so euphorisch wie die italienischen Tester bin ich beim Montepluciano d’Abruzzo Vig. die Sant’Eusanio ’16 von Valle Reale. Die vergeben 3 Gläser, ich nur 1. Weil? Habe schon mehrere bessere Montepluciano getrunken. 

Basilikata und Apulien stark 

Cantine del Notaio in der Basilikata hat Aglianico del Vulture im Gepäck. Die Sorte ist ein regionaler Star und auch mein Ding. 3 Gläser vergibt der Weinführer für den Aglianico del Vulture Il Repertorio ’16. Ein schöner Wein, aber mir fehlt die allerletzte Begeisterung, also nur 2. Finde den  Aglianico del Vulture Il Sigillo 2012 fast eindrucksvoller – 2 Gläser hier und da. Doch der Wein ist eigentlich noch gar nicht fair zu  bewerten. Die Trauben wurden 2012  Ende Dezember gelesen, Reife dann zwei Jahre im Barrique und zwei Jahre in der Fasche. Ein Baby noch – wir sehen uns in 10, 15 Jahren wieder.
Apulien boomt schon seit Jahren, kein Wunder. 3 Gläser für den 16er Primitivo di Manduria Zinfandel Sinfarosa Terra Nera von Felline sind gerechtfertigt. Klasse auch der Castel del Monte V.Pedale Riserva ’15 von Torrevento – 3 Gläser beiderseits. Der Castel del Monte Nero di Troia ’14 auch von Torrevento steht dem kaum nach – 2 Gläser im Gambero, 3 bei mir.
Jetzt gibt es zu oft 3 Gläser – Finito.


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