Zugegeben, der Mittelrhein war bisher ein ziemlich weißer Fleck auf meiner Weinkarte. Mit 468 Hektar Rebfläche ist es das zweitkleinste der 13 Weinbaugebiete Deutschlands. Stichworte von Freunden wie „Geheimtipp“, „super Preis-Leistungs-Verhältnis“ oder „spektakuläre Landschaft“ machen neugierig. Andere wie „verschlafene Gegend“ eher weniger. Was stimmt denn nun? Zeit für Begegnungen am Mittelrhein.
Der Mittelrhein
Zunächst ein paar Fakten. Das Weinbaugebiet Mittelrhein erstreckt sich über rund 110 Kilometer zwischen Bingen und dem Siebengebirge bei Bonn. Also quasi immer schön am Rhein entlang, plus einige Rebflächen in Seitentälern. Aktuell gibt es im Mittelrhein 82 Weinbau-Betriebe, keine Genossenschaft. Die durchschnittliche Rebfläche pro Weingut beträgt 5 Hektar. Am Mittelrhein herrschen Schiefer- und Grauwackeverwitterungsböden vor.
Alles steil

Die 468 Hektar Rebfläche am Mittelrhein sind eine Art Minusrekord. Im Jahr 1900 wurden noch über 2000 Hektar Reben bewirtschaftet. Mag an den Steillagen liegen, die den Winzern viel abverlangen. Es ist ja ein weltweiter Trend: Auf schwere Arbeit haben immer weniger Bock. Immerhin sind 90 Prozent der Rebflächen im Mittelrhein Hang- und Steillagen. Erfahre, dass in Flachlagen 200 bis 300 Arbeitsstunden pro Hektar Rebfläche nötig sind, in Steillagen sind es bis 800, im Extremfall fast 1000 Stunden pro Hektar. Erfahre beim Thema Steillage auch, dass es einen „Retter der Steillage“ gibt. Diese Ehre wird keinem Politiker zuteil, gemeint ist eine Hydrostatische Raupe Niko HRS, mit der auch steilste Lagen mechanisch bewirtschaftet werden können. „Eine extreme Erleichterung“, meinen Winzer am Mittelrhein unisono.
Nun wird es aber Zeit für Begegnungen am Mittelrhein.
Weingut Toni Jost

Toni Jost ist wohl der bekannteste Name vom Mittelrhein, immerhin ein VDP-Weingut in siebter Generation und dick im Exportgeschäft (30 Prozent). Aber Achtung: Neben den 12 Hektar am Mittelrhein werden auch 3 Hektar im Rheingau bewirtschaftet, was für den Bekanntheitsgrad auch zuträglich ist. Bleibe mit den Weinen aber brav am Mittelrhein. Chefin Cecilia Jost präsentiert den Devon S Riesling trocken 2022 mit den Worten: „Für uns der Idealtyp von Riesling.“ Kann man so sehen, Fakt ist: Schöne Säure, Eleganz, angenehm trinkbar. Bei den aufgerufenen 12,50 Euro macht man nichts falsch. Ein anderes Kaliber ist die Bacharacher Riesling Auslese 2019. Feiner Süßwein ohne Botrytis. Die 150 Gramm Restzucker werden mit 9 Gramm Säure perfekt abgepuffert. „Die Einstiegs-Auslese“, sagt Frau Jost. Da steigen wir gerne ein.
Weingut Lambrich

Das Weingut Lambrich bewirtschaftet 6 Hektar und ist ein klassischer Familienbetrieb. Papa, Mama, Tochter und Sohn geben sich das Motto: „Vier Köpfe, ein Ziel“. Auch die Lambrichs haben sich dem Riesling verschrieben. „Das kühle Klima, die Schieferböden sind ideal für Riesling“, sagt Julia Lambrich, aktuelle Mittelrhein-Weinkönigin. Hinzu komme dann noch die Handschrift des Winzers. Da haben die Lambrichs eine saubere Handschrift, um im Bild zu bleiben. Ihr Riesling Urgestein 2021 ist eine feiner Botschafter seiner Art, dazu noch wurzelecht, also die Unterlage noch von vor der Reblaus-Zeit. Die „technischen Daten“: 6,2 Gramm Restzucker, 8 Gramm Säure. Passt. Die große Überraschung ist aber ein blitzsauberer Spätburgunder trocken 2022. Notiert sind: Samtig, leicht, kühl, knackig; noch Tannine. Der leicht abgedroschene Spruch „bildet das Terroir ab“ stimmt hier wirklich mal. Beim Preis von weniger als 10 Euro ist der Wein geradezu ein Schnäppchen.
Weingut W. Persch

Weil wir einmal bei Überraschungen sind: Einen Schönberger Sekt brut wie dem vom Weingut W. Persch bekommt man auch nicht alle Tage ins Glas. Schönberger ist eine Aromarebsorte und eine Züchtung der Forschungsanstalt in Geisenheim. Benannt ist sie nach der 1000jährigen Schönburg in Oberwesel, wo das Weingut Persch beheimatet ist. Es wurden Spätburgunder x Pirovano1 (aus Gutedel und Muscate de Hambour) gekreuzt. Der Schönberger ist säurearm und duftig und der Sekt – traditionelle Flaschengärung – ist gewiss gut gemacht. Bin zwar großer Freund autochthoner und alter Rebsorten, aber meine Welt ist der Sekt nicht. Der Riesling Oberwesel 7 Jungfrauen 2022, eine Spätlese feinherb, zeigt spürbar Restzucker, der Stil hat seine Fans.
Philipps Mühle

Das Weingut Philipps Mühle ist noch jung und ein mutiges Projekt der Brüder Martin und Thomas Philipp. Tatsächlich handelt es sich um eine ehemalige Mühle in St. Goar, die wegen des allgemeinen Bäckereisterbens 2015 nach 751 Jahren geschlossen werden musste. Wie weiter? Die Philipps waren die einzige Weinbaufamilie in St. Goar, kauften und pachteten verlorene Flächen zurück und so wurde die Rebfläche von 0,3 Hektar (2005) auf aktuell 6,4 Hektar erweitert. Sie haben den Betrieb auf Bio umgestellt. Der Weißburgunder 2022 gehört ins Fach klassischer Weißburgunder aus einem Riesling-Weingut, solide Kost. Flaggschiff ist aber auch hier der Riesling, offiziell St. Goarer Riesling Frohwingert 2020. Der Wein lag teilweise im Holzfass, hat Kraft und Mineralität. Der nahe gelegenen Loreley hätte er auch gefallen.
Weingut Schüler

Gero Schüler vom Weingut Schüler hat überregional Bekanntheit erlangt, weil er sich 2022 zur Wahl des Weinkönigs am Mittelrhein stellte. Damals waren erstmals auch Männer zur Wahl der Weinkönigin zugelassen. Gewählt wurde letztlich Julia Lambrich, Gero Schüler darf sich Weinprinz nennen. 2017 hat er mit seinem mit Onkel angefangen, selbst Weinbau zu betreiben, die Rebfläche wurde von 0,3 Hektar auf 3,5 Hektar vergrößert, 92 Prozent sind Riesling und 8 Prozent Spätburgunder. Der Blanc de Noir feinherb Steeger Esel 2023 mit viel Frucht und deutlicher Süße hat seine Fans. Der Riesling Bacharacher Wolfshöhle Alte Reben feinherb ist von anderem Kaliber. Trinkfreudig, sagt man so schön.
Was stimmt den nun vom Mittelrhein? Irgendwie alles…

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