Es ist noch 2022 – doch schon sind die ersten Weine des  Jahrgangs 2022 auf dem Markt. Nicht aus Südafrika oder Australien, sondern von Saale-Unstrut. Mir gefällt das zeitige Abfüllen eigentlich nicht, vertrete eher die Theorie, dass Wein Zeit braucht. Aber ich kann auch die Winzer verstehen, die die 2022er schon im November, ja sogar Ende Oktober abfüllten. Der Markt verlange das, leere Keller seien im Weihnachtsgeschäft kontraproduktiv, wird erklärt. Außerdem, darauf wird immer hingewiesen, seien diese Weine zum baldigen Verbrauch gemacht. Mit dem Argument ,wer nicht probiert, kann nicht mitreden’ werde ich schließlich überzeugt, die 2022er noch im Jahr 2022 zu probieren. 

60 Weine und eine Rekord-Jury 

Also Mitte Dezember auf nach Freyburg ins Weingut Deckert, wo für die so genannte „Frühchenverkostung“ alles angerichtet ist. Immerhin 60 Weine waren angestellt, alle Jahrgang 2022. So viele wie noch nie. Auch die zwölfköpfige Jury mit drei einstigen deutschen Weinmajestäten sowie der amtierenden Gebietsweinkönigin war rekordverdächtig. Die folgenden Einschätzungen der Weine sind das Ergebnis anregender Diskussionen und mitunter auch kontroverser Meinungen. Gut so!

Hölder soll nicht sterben 

Drei Gutedel eröffneten das Feld. Die vom Weingut Herzer und vom Thüringer Weingut Bad Sulza mit schon überraschend ausgeprägter Harmonie haben bei den meisten den besten Eindruck hinterlassen. Bei den acht Müller-Thurgau war der vom Landesweingut am auffälligsten. Mir persönlich haben die von Deckert (stilistisch die Handschrift Lisa Weinecks), Klaus Böhme und Pawis am besten gefallen.
Drei Silvaner standen an, Johannes Beyers „Alte Reben“ war bei mir wie fast allen der Favorit. Achtmal Bacchus sahen Wolfram Proppe und Bernard Pawis vor dem Rest. Deckerts halbtrockener Bacchus war ziemlich fruchtig, das könnte in einigen Monaten interessant sein. Bei den Bacchus gab es für mich die meisten Enttäuschungen. Das kann freilich auch an der Rebsorte liegen, die mich bisher kaum inspiriert hat. Mit dem Hölder brachte die Winzervereinigung eine Rarität ein, die auf, vorsichtig formuliert, geteiltes Echo stieß. Mit dem Hölder tue ich mich schwer, aber die Rebsorte sollte nicht sterben. Deshalb Lob für die Winzergenossen, dass sie sich einer Nische widmet.

Grauburgunder-Debatten

Bei den sechs Weißburgundern dominierten nicht unerwartet die Lagenweine von Klaus Böhme und Johannes Beyer. Mit hat der vom Thüringer Weingut Bad Sulza im Gegensatz zu manch anderem auch gut gefallen, auch wenn der wohl noch Füllstress hatte. Die meisten  Debatten gab es beim  Weißburgunder vom Obstgut Triebe. Den Wein hätte ich nie als Weißburgunder erkannt. Beim Nachkosten zwei Stunden später präsentierte er sich ganz anders. Ein rätselhafter Wein.
Konträr auch die Sicht auf die vier Grauburgunder. Fand sie alle nicht unbedingt überzeugend, mit Ausnahme dem vom Weingut Herzer, bei dem Stichworte wie „ausgewogen“ oder „würzig, cremig“ fielen.  Die anderen waren klassische „Spalter: Bei Dr. Hage gab es „toll, cremig“, aber auch „zu eckig“. Bei Marcel Schulze reichte es von “eher untypisch“ bis „klasse“. Und auch Pawis spaltete: „zu früh, unbestimmt“ bis „sehr gut“. Der Chardonnay von Sandra Polomski, von einer spektakulären Verkostung noch in allerbester Erinnerung, war für mich einer der Highlights des Abends – kräutrig, würzig mit viel Charisma. Und noch so jung…

Strammes Programm: 60 Weine des 2022er Jahrgangs standen zum Test.

Traminer-Highlight 

Die beiden Auxerrois fanden unisono ein positives Echo. Hier scheinen Wolfram Proppe und dem Landesweingut Glanzlichter gelungen. Ich fand die Weine gut gemacht, konnte die Euphorie aber nicht ganz teilen. Die Rebsorte? Beyers Cuvée „3 Jungfrauen“ aus Silvaner, Bacchus und Cabernet Blanc hatte Körper und wurde als „süffig“, von manchem aber als „zu süß“ empfunden. Ich sage mal: okay so. Die Tankprobe von Elisabeth Borns Sauvignon Blanc passte nicht so recht zur Veranstaltung, wird der Wein doch erst im April 2023 abgefüllt. Da hat er bei mir schon mal gepunktet. Erst recht, weil die Tankprobe großes Potenzial verheißt. Beyers Sauvignon Blanc vom Muschelkalk ist da schon weiter und kann als gelungen gelten.
Mit den Kernern bin ich nicht warm geworden, mit einer Ausnahme freilich: Der von Wolfram Proppe ist top, das haben fast alle am Tisch so gesehen. Dr. Hages halbtrockner Kerner wurde immerhin mit „stimmig“ beurteilt. Deckerts Morio Muskat ist was für Fans dieser eher selten angebauten Rebsorte. Auch hier gilt wie beim Hölder: die Rebsorte sollte nicht sterben. Ein Highlight des Abends war der Traminer von Pawis, von allen hoch gelobt. Toller Wein! Mir ist wie manchem anderen in der Runde freilich ein Rätsel, wie nach so kurzer Zeit im Keller so ein runder, ja fertiger Wein herauskommen kann. Muss der Sache mal nachgehen.   

Frühchen mit Farbe 

Traditionell das größte Starterfeld stellten die Rosés. Also die Wanderer zwischen den Weinwelten, die spätestens im Frühling wieder die Terrassen und Picknickkörbe erobern werden. Meine drei Favoriten (in alphabetischer Reihenfolge): „Dorn Rosa“ vom Weingut Deckert. Wie der Name ahnen lässt aus Dornfelder, hart an der Grenze zu halbtrocken, süffig. „Pink Pony“ vom Weingut Born, inzwischen eine echte Erfolgsstory. In diesem Jahr ein Rotling, in dem sich Blauer Zweigelt, Portugieser, Müller-Thurgau und Silvaner finden lassen. Gut elf Gramm Restzucker werden von einer moderaten Säure getragen – passt gut. Schließlich „Rosalie“, ein Klassiker von Bernard Pawis, in diesem Jahr wieder ein Rotling aus eigenen Trauben. Blauer Zweigelt wurde mit Cabernet Blanc und Bacchus vermählt. Typisch spritzig, frisch und süffig. Die anderen? Für mich meistens zu süß. Aber Rosés dürfen das.


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