Michael Heinrich

Was kommt raus, wenn ein Olympia-erfahrener Regisseur am Stammsitz von Nestlé ein Winzerfest choreografiert? Antwort: die Fête des Vignerons. Für den Weinbeobachter war Michael Heinrich, selbst Hobby-Winzer, beim größten Weinfest der Welt im Schweizer Vevey dabei. Ein Gastbeitrag.

Wie eine riesige Freilichtbühne

Vevey gleicht an diesen Tagen einer riesigen Freilichtbühne. Zwischen den historischen Häusern des kleinen Ortes am Genfer See wandeln schon seit den Morgenstunden viele kostümierten Darsteller. Sie stehen sogar am Bahnhof für die Besucher Spalier. 40.000 Menschen, das haben die Organisatoren erhoben, kommen im Schnitt täglich zur Fête. An den 25 Festtagen wird damit die Million voll. Vevey hat übrigens 19.500 Einwohner.

500.000 Flaschen werden getrunken

Um die Dimension dieses Festes zu begreifen: Die Schweizer Bundesbahn setzt 1000 Sonderzüge ein. Auf dem Markt ist eine temporäre Arena für 20.000 Menschen aufgebaut, die den kleinen, zum See offenen Platz fast zu sprengen scheint. Die Tribünen und die Lichtmasten sind höher als die umliegenden Häuser. Ringsherum gruppieren sich Terrassen, Pavillons und Essensstände, wo vor allem natürlich Wein ausgeschenkt wird. 500.000 Flaschen könnten es am Ende sein. Alle Kantone der Schweiz und sogar die päpstliche Schweizer Garde sind bei dem Winzerfest zu Gast. 

Das nächste Fest 2039

Im Kern geht es auch bei der Fête des Vignerons darum, den Wein und seine Erzeuger zu ehren. 1770 setzte sich die hiesige Vereinigung Confrérie des Vignerons das Ziel, die Qualität des Rebbaus zu verbessern und gute Arbeit zu belohnen. 1797 fand die erste Ehrung noch mit einem Umzug statt, wie man es von den meisten Winzerfesten kennt. Bei der 2. Ausgabe 1819 wurde bereits eine Tribüne errichtet. 200 Jahre später, 2019, ist es erst die 12. Ausgabe der Fête des Vigneron. Einmal pro Generation findet das Fest statt, so sagt man hier. Wer es verpasst, muss mindestens 20 Jahre warten. Das nächste soll 2039 über die Bühne gehen. Dieses geht noch bis zum 18. August.

Noten für den Weinberg

Die Confrérie wählt noch immer die Preisträger aus. Bei drei jährlichen Visiten gibt es Noten für den Zustand des Weinbergs. Alle Noten der letzten fünf Jahre fließen in die Bewertung ein. Sechs Goldmedaillen wurden diesmal vergeben. Erstmals ist eine Frau unter den Preisträgern. Winzerkönig wurde Jean-Daniel Berthet aus Epesses. „Zur Wahl stehen nur Vignerons, die auf einem fremden Weinberg für den Besitzer arbeiten“, erklärt Sabine Carruzzo, Generalsekretärin der Confrérie. Für die Eigentümer ist es zugleich eine Kontrolle des Dienstleisters, den sie beschäftigen.
In ihrem Amtsgebäude zeigt sie mir die früheren Arenen im Modell. Auch die Statistik wird hier geführt. Bislang eilte die Fête von Rekord zu Rekord, aber der Platz ist begrenzt. 18.000 Quadratmeter stehen für das Festgelände zur Verfügung. „Die Organisation fühlte sich manchmal an wie Tetris spielen“, bemerkt Frédéric Hohl, Geschäftsführer der Fête des Vignerons mit Blick auf Mülltrennung, Geschirrrecycling und Garderoben für die 5600 Darsteller. 

Alle Shows ausverkauft

Die 20 Vorstellungen am Abend sind selbstverständlich alle ausverkauft; 400.000 Tickets im Preis von 70 bis 299 Schweizer Franken. Der im Tessin geborene Regisseur Daniele Finzi Pasca entwarf bereits gewaltige Veranstaltungen, wie die Abschlusszeremonien der Olympischen Spiele von Turin (2006) und von Sotschi (2014). Sein Schauspiel entführt in die Welt der Winzer. Es erzählt aus der Sicht und mit der Fantasie der kleinen Julie, die mit ihrem Großvater durch die Weinberge streift, die ewige Geschichte vom Wachsen und Werden, vom Reifen der Trauben und den Arbeiten im Laufe der Jahreszeiten. 

Budget: 100 Millionen Franken

In zeitlosen, farbigen Szenen entstehen auf fünf Bühnen zugleich Sinnbilder im Universellen. 850 Sänger treten auf. Dazu gibt es atemberaubende audiovisuelle Effekte und Bühnentechnik in dieser temporären Arena, die viele feste Veranstaltungsorte in den Schatten stellen. Aber was kann man nicht alles machen, wenn der Weltkonzern Nestlé einer von zehn großen Sponsoren ist?! Das Budget der Fête liegt übrigens bei 100 Millionen Schweizer Franken.


0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.