Ein Anruf: „Wir probieren Schätze aus Kloster Pforta, hast Du Lust?“ Was für eine Frage, klar doch! Dazu die tolle Idee, die Weine gemeinsam mit drei gestandenen Kellermeistern zu verkosten, die jahrzehntelang beziehungsweise nun wieder den Geschmack des Landesweingutes Kloster Pforta (Saale-Unstrut) präg(t)en: Mit André Gussek (1982 bis 2001), Christoph Lindner (2009 bis 2018) und Giso Roesch (2003 bis 2008 und wieder seit September 2023). Zusammen mit dem neuen Geschäftsführer Jörg Erdmann durfte ich mit dem geschätzten Kollegen Frank Nowak, Mit-Autor dieses Beitrags, sinnbildlich ins Archiv des Landesweingutes hinabsteigen und echte Schätze heben.
Fantastischer 1979er
Die erste Lehre des Abends: DDR-Weine – erst recht vom einstigen VEG Weinbau Naumburg – niemals unverkostet entsorgen! Das Tasting begann mit einem 1979er Riesling Freyburger Schlifterberg. Drei Jahre im Holzfass, abgefüllt vor fast 42 (!) Jahren, später neu verkorkt – nachdem die Saale mal wieder den Weingutkeller geflutet hatte. Die Erwartung war gering, die Überraschung umso größer: Dieser goldene, glanzklare Tropfen mit kaum merklicher Firne stand wie eine Eins im Glas. Tolle Alterung, würde einem angesagten Orange-Wein aus der Amphore zur Ehre gereichen. Hochgenuss! Gleich zu Beginn also ein Spitzenwein, der auch Stunden später kaum an Eleganz verlor und das entgegen aller Erwartungen.
Rost im Wein?
Das wurde klar, als André Gussek von der, sagen wir mal, eher ungeschliffenen Weinbereitung berichtete, als er 1982 zum VEG (Volkseigenes Gut) stieß. Da kam aus der Traubenpresse schon mal ein bittersaurer, fast ungenießbarer Most ins Fass, der bisweilen ordentlich Eisen enthielt. Das Eisen kam vom Rost der Stahldraht-Anlagen, der reichlich mit ins Lesegut gefallen war, was später aufwendig chemisch herausgeschönt werden musste. Gussek verbesserte daraufhin den ganzen Pressvorgang – mit Erfolg. Auch auf ihn geht übrigens zurück, dass in die TGL-Norm zum Wein in der DDR offiziell das Prädikat Spätlese aufgenommen wurde: Grundlage war seine Diplomarbeit dazu in den Saalhäusern.
Toller 83er Riesling von wo?
Dem 1979er Riesling Freyburger Schlifterberg im Verkostungspanel folgten acht weitere Archiv-Weine aus Kloster Pforta aus den Jahren 1984 bis 2013, vornehmlich Riesling und Blauer Zweigelt. Alle waren in Würde gealtert; kein Einziger schien über seinen Zenit oder gar ein Reinfall; die „Jungen“ hatten sogar noch Potenzial, wie ein 2012er Weißer Heunisch, ein Versuch vom Pfortenser Köppelberg, den Christoph Lindner als Kellermeister in so gute Bahnen lenkte, dass er guten Gewissens noch viele Jahre lagerfähig bleibt. Womöglich wird er sich dann bei einer Archiv-Weinprobe 2052 als echter Schatz erweisen. Mich hat besonders auch ein 1983er Riesling beeindruckt. Lage und Alkoholgehalt unbekannt, weil kein Etikett mehr vorhanden. Aber dieses Glanzgold; die Aromen von Feige, Dörrobst, Rosine, Steinkohle. Einfach großartig! In die Kategorie großartig gehört auch die Riesling Auslese Gosecker Dechantenberg 2000. Toll in Form, Rosinen, getrocknete Aprikosen, karamellisierte Früchte, alles dabei.
Missgeschick mit Folgen
Einen Schatz besonderer Art mit einer skurrilen Geschichte lieferte André Gussek. Durch ein Missgeschick bei der Etikett-Druckfreigabe für den 1994er Silvaner wurde aus dem „Gosecker Dechantenberg“ der „Gusecker Dechantenberg“ (siehe Foto). Spaßeshalber konnte er seitdem behaupten, der Dechantenberg sei nach den Gusseks benannt. Der damalige Chef des Landesweingutes unterstellte André Gussek Absicht und verdonnerte ihn zum Abweichen von rund 2.500 Falschetiketten – nach Feierabend wohlgemerkt. Der tat wie geheißen – mit Familienunterstützung! Dennoch gelang es ihm, einige der einzigartigen Originale ins Archiv zu schmuggeln und so der Nachwelt beziehungsweise unserer Verkostungsrunde zu erhalten. Und bald 30 Jahre nach Abfüllung steht auch dieser Wein wie einst. Ein trockener Kabinett mit 10,5 Volumenprozent Alkohol, hellgold und klar, ziemlich trocken, mit Anklängen von älteren Apfelschalen, etwas Kräuter. Einmal offen, verlor er jedoch schnell an Charakter, was der wunderbaren Geschichte dieser „Blauen Mauritius“ des Landesweingutes keinen Abbruch tat.
Wilde Zweigelt-Geschichte
Bemerkenswert zeigten sich auch die Blauen Zweigelt. Die Sorte kam erst 1987 nach den großen Frostschäden dank leider schon verstorbenen VEG-Chefs Udo Lützkendorf über verschlungene Pfade nach Bad Kösen. Die Geschichten dazu variieren mittlerweile. Klar ist nur, dass es eine Art Dreiecksgeschäft mit der CSSR und Österreich gab und der Maler Willi Sitte mit West-Geld aus seiner Privatschatulle nachgeholfen hatte. Auf jeden Fall gut angelegtes Geld, denn der Blaue Zweigelt entwickelt sich seither erstaunlich beim Landesweingut. Wahrscheinlich hatten auch Holzfass- oder Barrique-Ausbau einen großen Anteil daran, dass die verkosteten Jahrgänge 1992, 1995 und 2000 (scheint idealer Trinkzeitpunkt!) kaum Altersmüdigkeit zeigten. Das passt auch zum Fazit des Tastings, das André Gussek so formulierte: „Keiner kann sagen, dass Saale-Unstrut nicht in Würde reifen kann!“
0 Kommentare