Reinhard Löwenstein führt mit seiner Frau Cornelia das VdP-Weingut Heymann-Löwenstein in Winningen an der Mosel. Der Besuch auf dem Weingut war hochinteressant, das Gespräch mit Reinhard Löwenstein nicht weniger.

Moselwein ist zu einem Markenbegriff geworden. Wie definieren Sie Moselwein?
Wein, der an der Mosel gewachsen ist. Mehr gibt es nicht an Definition.

Bei Moselwein denken viele an Rieslinge mit einer gewissen Restsüße, die klassische Kabinette. Diesen Ruf haben die Moselweine seit über hundert Jahren.
Vor hundert Jahren war fast alles, was an der Mosel gewachsen ist, auf Schiefer gewachsen. Das ist heute nicht mehr so. Heute hat die Mosel 5000 Hektar Flachlagen und 3500 Hektar Schieferlagen. Richtig steil. Wenn man jetzt rechnet, dass die Erträge auf den Flachlagen wesentlich höher sind als auf den steilen Hängen, kann man sagen, dass 70 bis 80 Prozent des Moselweins nicht aus den traditionellen Weinbergen kommt, die man vor 100 Jahren hatte. Das ist also schon von der Basis her etwas ganz anderes.

Was hat sich noch geändert?
Wir haben zum Glück ein etwas wärmeres Wetter. Die Reben werden im Durchschnitt viel reifer als vor hundert Jahren. Wir haben also nicht mehr die schlimmen Ausfälle, dass alles erfroren war oder dass es keine besonders gut trinkbaren Wein gab. Und wir haben eine Fülle an moderner Kellertechnik, die es vor hundert Jahren auch nicht gegeben hat. Die Möglichkeit, Weine so steril abzufüllen, dass die Weine im Kabinett- und Spätlesebereich als sehr leichte restsüße Weine funktionieren – das gab es vor hundert Jahren nicht.

Und die Winzer?
Die kulturelle Ausrichtung der Winzer ist sehr heterogen. Die Bildung ist sehr heterogen. Das Wollen und das Können und die Idee, was Wein letztlich ist, ist sehr unterschiedlich. Es gibt an der Mosel viele Kollegen, die schreiben groß und breit Riesling drauf. Weil sie meinen, sie sollten einen Riesling produzieren. Wir sagen, Riesling ist nur ein Mittel zum Zweck. Riesling ist eine Rebsorte die toll ist, weil sie in der Lage ist, den Bodengeschmack ins Glas zu bringen. Riesling wurde vor hundert Jahren auch nicht aufs Etikett geschrieben.

Sondern?
Da stand was drauf, was bei uns jetzt auch auf dem Etikett steht: Winninger Uhlen oder Röttgen. Das Wort Riesling ist in meiner Familie zum ersten Mal 1976 benutzt worden. Es gab überhaupt keinen Grund. Warum soll man es Riesling nennen, wenn es doch klar ist, dass es Riesling ist.

Profitiert die Mosel vom Klimawandel?
Ja, klar. Klimawandel ist für die Mosel positiv. Punkt. Es gibt keine schlechten Jahre mehr, dass die Trauben nicht reif werden.

Weiter gedacht: Wäre es denkbar, dass hier künftig eine andere Rebsorte den Riesling als bestimmende Sorte ablöst?
Ja. Wenn das so weitergeht mit dem Klimawandel, also dass wir in 40, 50 Jahren wirklich eine um zwei Grad höhere Durchschnittstemperatur haben, dann fängt das vielleicht an, dass es zu warm wird für Riesling.

Und dann?
Dann würden wir uns wahrscheinlich nach Syrah umschauen.

Klimawandel ist ein großer Trend. Gibt es noch weitere Trends, die uns in den nächsten 10, 20 Jahre beschäftigen werden?
Uns wird die Frage der Marktspaltung zwischen Industriewein und Kulturwein beschäftigen. Die Marktspaltung macht sich daran fest: Gibt es Terroir, gibt es einen Wein der nach Weinberg schmeckt? Wo liegt dieser Weinberg? Wie sieht die Vinifikation aus? Und auf der anderen Seite: Wie kriege ich für möglichst wenig Geld viel Geschmack ins Glas. Das ist die industrielle Haltung in der Weinproduktion. Aus meiner Sicht wird sich das noch weiter zuspitzen. Die eine Sorte Wein wird immer billiger werden, weil sie in immer größeren Einheiten produziert wird. Und der andere Wein wird immer teurer. Muss immer teurer werden. Weil es immer individueller und bei steigenden Arbeitskosten sehr viel teurer wird.

Steile These, Wein muss teurer werden …
Ja, wir müssen jetzt schon viel teurer werden, um langfristig nachhaltig produzieren zu können. Auch wenn wir reinrechnen, dass die Subventionen irgendwann nicht mehr stattfinden, die wir momentan noch einstreichen. Es gibt immer weniger Winzer, man muss immer weniger Rücksicht auf Wählerstimmen nehmen. Das heißt, es wird weniger Subventionen geben. Wenn wir dann auf den Terrassen hier rumturnen mit über 2000 Stunden pro Hektar um 5000 Liter pro Hektar zu ernten, dann kann man sich leicht ausrechnen, was der Wein kosten müsste. Hinzu kommt, dass es weltweit  immer mehr Weintrinker gibt. Und je mehr Weintrinker es gibt, umso mehr gibt es auch Leute die upgraten wollen, vom einfachen Wein zu einem guten Wein. Zu einem Wein der eine kulturelle Dimension hat. Der eine Herkunft hat.

Auf den Etiketten steht Fair and Green. Erklären Sie.
Fair heißt sozial engagiert. Und Green ist ein Nachhaltigkeitslabel, das wir vor einigen Jahren entwickelt haben. Als Weiterentwicklung der Ökobewegung. Wo es nicht nur um die Toxizität und Weinbauliches geht, sondern auch um Kellerwirtschaft, ökonomische Fragestellungen, soziale Fragen. Fair and Green als Nachhaltigkeitslabel versucht, das gesamte System eines Weinguts sinnvoll abzubilden. Mit Kriterien, wo man an den Stellschrauben ökologischer, sozialer, auch nachhaltig rentabler wirtschaften kann.

Warum schreiben Sie nicht Bio aufs Etikett?
Bio schreibe ich nicht aufs Etikett, weil wir nicht Bio zertifiziert sind. Wir sind nachhaltig zertifiziert. Für mich ist es eine Stufe weiter, es hat einen anderen Fokus. Öko ist europaweit definiert. Da gibt es Standards, die man einhalten muss. Fair and Green ist noch nicht europaweit definiert. Wir arbeiten daran, dass das möglichst bald kommt. Damit es hier Standards gibt, die auf einem seriösen Niveau liegen und damit mit diesen Begriffen kein Schindluder getrieben wird.

Ihre Weine reifen mit Musikbegleitung. Wie läuft das ab?
Wir haben eine Panflöte und durch den Wind, der im Vorgarten über die Röhren streift, wird im Keller ein Ton generiert, eine Tonfolge generiert.  Die soll den Wein mit dieser Energie beseelen. Weil mal mehr, mal weniger Wind weht, ist Musik ist immer im Spiel.

Haben Sie mal getestet, ob es einen Einfluss auf den Wein gibt?
Nein. Aber wir haben beide ja Landwirtschaft studiert. Und da haben wir gelernt, dass Kühe bei Mozart-Musik mehr Milch und bei Rockmusik weniger Milch geben. Völlig klar, dass die Bakterien, Mikroben und Hefen auch auf Musik reagieren. Wir lassen diese Töne laufen, weil wir der Meinung sind, dass das gut für die Entwicklung unseres Weines ist. Beweisen kann ich das nicht. Aber ich habe auch gar keine Notwendigkeit, das zu beweisen. Denn ich habe keinen Chef, dem ich was beweisen muss. Wir haben immer das gemacht, wo wir meinen, dass es gut und sinnvoll ist. Dabei bleiben wir auch.

Wie leben Sie mit dem Etikett ,Rebell im Weinberg’?
Wer mir das Etikett anhängen will, der soll das gerne tun. Ich habe keine Probleme mit Etiketten, die man mir umhängt. Ich habe gelernt, dass jeder etwas anderes in mir sieht und jeder irgend etwas anderes mir umhängt. Damit kann ich gut leben. Es ist ja bei allem irgend was Wahres und Richtiges dran.

Hatten Sie überhaupt eine andere Chance als Winzer zu werden?
Sicher hatte ich eine andere Chance. Ich hatte mein Landwirtschaftsstudium beendet und hing in einer Doktorarbeit, die ich dann gekündigt habe. Wenn ich die Doktorarbeit zu Ende geschrieben hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht Winzer geworden. Ich war allerdings beim Verfassungsschutz kein unbeschriebenes Blatt. Da wäre ich in den Schuldienst nicht reingekommen und in der Uni hätte ich auch keinen Job gekriegt. In Brüssel wahrscheinlich auch nicht. Ich hätte mich schwer getan, in meinem gelernten Beruf einen Job zu finden. Damals gab es Berufsverbote.

Welchen Wein öffnen Sie gern, wenn Sie nach Hause kommen?
Gestern habe ich einen 2010-er Saint-Aubin geöffnet aus dem Burgund, weil ich auf einen weißen Burgunder Lust hatte. Es gibt ein paar Lieblingswinzer, die wir gerne trinken, aber eigentlich trinken wir die ganze Welt rauf und runter.

Und was wird zu besonderen Anlässen entkorkt, Weihnachten etwa?
Auch ganz viel verschiedenes.

Ihr persönlicher Lieblingswein?
Es gibt nicht den einen Lieblingswein. Ich trinke gerne Chambolle-Musigny, weil die diese unglaubliche Leichtigkeit haben. Ich trinke gerne guten Barolo, der auf den Punkt die Finesse und Zartheit hat. Also die Lieblingsweine sind alle atmosphärisch, differenziert, komplex. Ordinäre, plumpe, alkoholische, süße, fette, holzbetonte Weine mag ich überhaupt nicht. Aber beim Thema Finesse und Subtilität findet man überall auf der Welt grandiose Vertreter dieses Genres.

Ihre Meinung: Kork, Glas oder Schraubverschluss?
Schraubverschluss.

Mit wem würden Sie gerne mal ein Glas Wein trinken?
Pablo Neruda ist leider schon tot. Aber der Gregor Gysi macht sich dünn. Der sagt immer, er würde mal vorbeikommen.  

Gibt es den idealen Wein?
Ja, es gibt den idealen Wein. Den gibt es schon. Das Ideale ist Finesse und Komplexität, das ist Rorschach-Test, Livekonzert. Idealen Wein gibt es, aber es gibt nur keinen perfekten Wein. Aber es gibt einen Idealtyp von Wein. Manchmal habe ich einen Wein im Mund und sage: So, wenn es jetzt zu Ende wäre, dann wäre es gut. Weil schöner kann es nicht werden.

Foto: A. Durst


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