
Der Verein Breitengrad 51, der sich als qualitative Speerspitze des Saale-Unstrut-Gebietes versteht, war auf diesem Blog schon oft Thema. Doch „Quo vadis, Breitengrad 51“?, fragt sich mein Kollege Frank Nowak nach der Jahrgangspräsentation der Weine des Vereins „Breitengrad 51“. In Freyburg gab es gewiss gute, ja sehr gute Weine – aber auch einige Irritationen. Hier sein Bericht.
Reichlich Abwesenheit
Das Wichtigste vornweg: Es lag nicht an den ausgesucht guten Weinen und Sekten, auch nicht am exzellenten Menü und schon gleich gar nicht an den anwesenden Breitengrad-51-Winzern, dass dieser Abend in der „Eatbar & Weinbar 51°“ in Freyburg beim Berichterstatter den subjektiven Beigeschmack vom Abschied von einer guten alten Zeit hinterließ. Es war eher die Abwesenheit, die Bände sprach: die Abwesenheit einiger Breitengrad-51-Winzer, die Abwesenheit einiger Breitengrad-51-Weine, die Abwesenheit jenes edlen Glanzes, den Jahrgangspräsentationen des Vereins „Breitengrad 51“ eigentlich versprühen wollen. Für die Abwesenheit von ausreichender Kühlung im vom Sommer überhitzten Keller konnten die „Breitengradler“ übrigens wirklich nichts.
Nur drei Breitengrad-Weine
Zu den harten Fakten: Die Jahrgangspräsentation kam diesmal als Acht-Gänge-Dinner daher, jeder einzelne – weitgehend stimmig – vom passenden Wein begleitet. Acht Gänge, acht Breitengrad-Weine? Fehlanzeige! Da erschien nicht nur den Breitengrad-Stammgästen das erste Fragezeichen. Lediglich drei der acht Tropfen trugen laut Menü-Karte offiziell die Vereins-Weihen, sich „BG51“-Wein nennen zu dürfen: Frölich-Hakes 24er Grauburgunder Freyburger Edelacker, der den dazu gereichten zarten Kalbsbraten mit Fingermöhren an Portwein-Rahmjus wahrlich krönte. Ebenso großartig die Kombi aus 23er Riesling Kaatschener Dachsberg von Gussek und der Zitronentarte mit Meringue und Clementinensorbet.
Nicht meinen Geschmack trafen Parmesan und Zartbitterschokolade als Pairing zum – leider viel zu warmen – Spätburgunder Saalhäuser vom Landesweingut vom selben Jahrgang. Marian Malinowski als gut aufgelegter Vertreter des Landesbetriebs gab den Tipp, den Rotwein kurz mit einem Eiswürfel zu kühlen, was viele taten und was dem edlen Breitengradwein auch zugute kam.
Großes Kino Bergstern
Mein persönlicher Favorit war das kalte Estragon-Gurkensorbet als Zwischengang zum 23er Weißburgunder Bergstern Rappental vom Weingut Klaus Böhme. Das ist kein BG51-Wein, aber ganz großes Kino! Nicht zum ersten Mal begeistert ein Bergstern. Enttäuschend war jedoch, dass weder er selbst noch Tochter Luise oder sonst jemand aus Kirchscheidungen zur Präsentation ihres Weines erschien. Die ebenfalls abwesenden Böhmes (eigentlich Sperks) aus Gleina ließen sich und ihren großartigen 23er Riesling VDP Erste Lage Freyburger Mühlberg zumindest würdig und aussagekräftig durch ihre Mitarbeiterin vertreten, die Gleinaer Weinprinzessin Emely Gottbehüt.
Mitbegründer tritt aus
Die letzte, aber gravierendste Abwesenheit an diesem Abend fiel gleich beim Studium der Karte auf: War auf dem Cover das Weingut Hey noch verzeichnet, fehlten in der Menüfolge Hey-Weine komplett. Eine kurze Abfrage unter den anwesenden Breitengrad-Winzern ergab: Matthias Hey hatte kurz zuvor seinen Austritt angekündigt aus dem Verein, den er 2012 selbst mit aus der Taufe gehoben hatte und dessen Spiritus Rector der heutige VDP-Winzer einst war.
Zum scheinbar überraschenden Ausstieg kein offizieller Kommentar von den anwesenden Vereinskollegen. Auch Hey selbst wollte sich auf Nachfrage nicht äußern. Schade eigentlich, aber mit dieser Nachricht bekam mein Gefühl von „Abschied“ noch einmal neue Nahrung.
Quo Vadis?
Wo will „Breitengrad 51“ hin nach dieser Zäsur, fragte ich den aktuellen Vereins-Sprecher Jochen Born vom gleichnamigen Familienweingut aus Höhnstedt. Der eloquente Moderator des Abends musste lange überlegen: „Ich würde mir wünschen, dass wir uns weniger um Statuten kümmern, mehr um Wein, weniger um Veranstaltungen, mehr um diesen Verein als Austauschplattform nicht nur für uns acht Winzer, sondern für mehr Interessierte im Gebiet.“
Denn durch Änderungen beim Klima und bei der Kunden- und Genussstruktur wüchsen die Herausforderungen im Weinberg und im Weinbau. In der Gemeinschaft ließen sich kommende Umwälzungen vielleicht besser bewältigen. Und „Breitengrad 51“ könnte dabei ja eine Vorreiter-Rolle spielen.
Außerhalb des Gebiets?
Bleibt die Frage: Was wird aus den jährlichen Breitengrad-51-Präsentationen? Die Zurückhaltung dieses Jahr war vor allem dem geringen 24er Jahrgang und wenig angestellten „Breitengrad-Weinen“ geschuldet, sagte Born. Er hofft, im nächsten Jahr wieder ein ansprechendes Event auf die Beine stellen zu können – womöglich sogar außerhalb des Anbaugebietes.
Bis dahin geht aber nicht nur eine hoffentlich bessere Ernte ins Land, sondern sicher auch ein intensiver Diskussionsprozess unter den Breitengrad-51-Winzern vonstatten – über Selbstverständnis, Ausrichtung und Zukunft der Qualitäts-Spitze von Saale-Unstrut.

0 Kommentare