Weine vom Roten Hang – schon so viel gehört und probiert. Höchste Zeit für einen Besuch vor Ort. Und ja, sie macht Eindruck diese über 280 Millionen Jahre alte  ,,Niersteiner Formation“, die einst durch den Einbruch des Rheingrabens entstand. Seinen Namen verdankt er dem roten Boden, eingelagerte Eisenverbindungen (Hämatit) sind dafür verantwortlich. Roter Hang bedeutet auch Rotliegendes, was in  Rheinhessen eine Ausnahme ist. Sonst sind Lößböden vorherrschend. Das Gebiet ist in sieben Einzellagen aufgeteilt: Orbel, Heiligenbaum, Ölberg, Hipping, Brudersberg, Pettenthal und Rothenberg. Jeder Weinberg am Roten Hang hat sein eigenes Mikroklima.
Ein Dorado für Riesling-Freunde wie mich. Aber  auch andere Rebsorten versprechen einiges. Also, ans Werk, am besten in der Kapitale Nierstein. Acht Freunde helfen beim Probieren.

Weingut Lisa Bunn

Auftakt mit einer sicheren Bank: Weingut Lisa Bunn. Wir kennen uns seit langem, ich mag die Weine. Bei unserer ersten Begegnung 2013  erzählte sie von der gerade erfolgten Betriebsübernahme. Inzwischen ist ihr Weingut etabliert, die Ansprüche wachsen. 21 Hektar werden bewirtschaftet. Mit dem Riesling-Sekt Fraugarten 2018 geht es los. Der ist nach der Champagner-Methode hergestellt und schön frisch, trocken und mit feiner Perlage. Auch für einen „Nicht-Unbedingt-Sekt-Freund“ wie mich ein Genuss. Der folgende Sauvignon Blanc (1 Gramm Restzucker!) ist richtig gut, wir entdecken Maracuja, Stachelbeere, Zitronenmelisse. Auch die Scheurebe hat eine bemerkenswerte Aromenvielfalt. Allerdings kommt sie nicht vom Roten Hang,  sondern aus Guntersblum, der Heimat ihres Partners Bastian. Nun endlich  zu den Rieslingen. Da macht der Riesling Nierstein 2020 Eindruck, gemacht aus der Vorlese der Lagenweine vom Hipping, Orbel und Ölberg.  Spontan vergoren und schon bemerkenswert reif. Der Riesling Orbel 2018 trinkt sich natürlich auf einer anderen Ebene, hat eine tolle Mineralität und auch eine gewisse Exotik im Geschmack. Klasse! Finale mit einem St. Laurent 2018. Der kommt vom Rothenberg, wo es besonders lange warm ist. Der Wein lag 12 Monate im Barrique, hat schon eine wunderschöne Reife. Auch hier: Mineralität! Fazit. Lisa Bunn  hat nicht enttäuscht, bleibt ein sicherer Tipp. 

Lisa Bunn

Weingut Schätzel 

Spannender Termin beim Platzhirsch (?) in Nierstein: Weingut Schätzel. Dem Gault Millau gilt das VdP-Gut von Kai Schätzel als einer der „spannendsten Betriebe in der ganzen Region, mit Ingredenzien, die in ihrer Summe weltweit rar gesät sind.“ Schätzels Weine sollen zu den besten der Region zählen. Na dann. Das Weingut bewirtschaftet 15 Hektar Rebfläche nach ökologischen Standards. Das Tasting ist ein aufregender Ritt durch verschiedene Wein-Stile. Der Naturweiss 2019 ist eine Cuvée aus 18 Fässern (!), und zwar Riesling,  Silvaner, Müller-Thurgau, Weißburgunder und Scheurebe. Ausgebaut Sur Lie, also auf der Hefe. Spannend, spannend, aber auch gewisse Ratlosigkeit., Der Riesling Gutswein von 2019 ist rund, schön harmonisch, mit geschmeidiger Säure. Klassisch, der findet viele Fans. Der 2019er Riesling Kabinett mit 45 Gramm Restzucker und mehr als 10 Gramm Säure ist da schon von anderem Kaliber. „Nach dem Vorbild Egon Müller“,  sagt Kai Schätzel. Da liegt die Latte sehr hoch, aber das geht sich aus. Ein charismatischer Kabinett mit Charisma. Der Riesling Ölberg 2018 Großes Gewächs ist wieder ein blitzsauberer Klassiker, wie auch der geschmeidige Riesling Niersteiner Kabinett 2018.  Alle sind mit Vergnügen trinkbar. Mein  Favorit aus dem Schätzel-Portfolio war aber was anderes: Niersteiner Silvaner 2018, ein Naturwein mit „nur“ 11% Alkohol und komplett ungeschwefelt. Dazu mit herrlicher Mineralik, rund, bekömmlich. Für mich ein toller Wein, den sicher nicht jeder mag.

Kai Schätzel

Weingut Fritz Ekkehard Ruff

Gleich zur Orientierung: Den 9-Hektar-Betrieb im Niersteiner Ortsteil Schwabsburg führt mittlerweile Christine Huff mit ihrem aus Neuseeland stammenden Partner Jeremy Bird-Huff. Papa Fritz Ekkehard kümmert sich um die Weinberge. Die rheinhessisch-neuseeländische Verbindung trägt auch im Wein Früchte. Der 2020er Sauvignon Blanc heißt „The Yellow Bird“ , lag eine Zeit im Holz, ist eine Mischung aus europäischem plus Neue-Welt-Stil. Der Wein ist okay, mir hat die deutsche Antwort auf den Sauvignon besser gefallen: Die auf Kalkstein gewachsene trockene Scheuerbe „The Green Bird“ hat viel Charisma. Wir finden Aromen von Kräutern und Limette, ein spannende Entdeckungsreise. Auch die anderen Rebsorten jenseits des Rieslings haben gutes Niveau. Der 2020er Weißburgunder präsentiert sich cremig und rund. Der im Holzfass ausgebaute Niersteiner Grauburgunder 2019 hat eine schöne Würzigkeit und Aromatik. Und angesichts des feinen 2019er Sylvaners möchte  man Christine Huff fast betteln: Macht bitte weiter mit Silvaner, Der soll nämlich weg, weil er angeblich „nicht so In ist“. Die Riesling-Kür gelingt fehlerfrei. Der fruchtige 2020er Riesling Gutswein präsentiert sich klassisch, keine Einwände. Der Schwabsburg Riesling 2020 ist von Hand gelesen und spontan vergoren, hat eine charmante kleine Schärfe. Die Schwabsburger Lagen seien etwas kühler als die Niersteiner, erzählt Christine Huff. In heißen Jahren wie 2020 klarer Vorteil. Der 2019er Riesling  vom Rotliegenden hat eine feine Mineralität und ist schön geschmeidig. Der Gipfel schließlich ist der Riesling Orbel. Der 2019er blitzt fast golden, hat verspielte Frucht sowie Power und Charme zugleich. Ganz fein! Der von 2018 wirkt konzentrierter und spürbar reifer, auch eleganter. Wer ist der „bessere“? Geschmackssache. 

Christine Huff

Weingut Raddeck

Kleiner Wander-Stopp im Weingut Raddeck. Das Anwesen oberhalb Niersteins mit tollem Blick auf die Stadt und den Rhein beeindruckt gewaltig. Dem Guts-Riesling 2020 gebührt dass Prädikat solide, die mineralische Note hat gefallen. Wir müssen aber vor allem aber den Silvaner loben, der sich aromatisch präsentiert und für einen schönen Trinkfluss sorgt. Der Silvaner ist in Rheinhessen im Niedergang betroffen – bloß nicht! Der 2020er Grauburgunder ist auch ganz nett, doch mein nächstes Glas gehört dem Silvaner. 

Im Weingut Raddeck

Julianenhof

Eine feine Destination für die Unterkunft, bei den Weinen überzeugt ein bemerkenswertes Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Riesling vom Kalk 2020 war mit seiner schönen Mineralik eine Überraschung. Der Silvaner Alte Reben 2019 ist anständig, die ungewöhnliche Cuvée Weißburgunder/Chardonnay 2019 interessant. Spannend wird es bei der Riesling Beerenauslese von 2015.  163 Gramm Restzucker treffen 8,9 Gramm Säure, ein famoser Tropfen. Finale schließlich mit dem Riesling Eiswein 1999. Da ist erst mal Ehrfurcht angesagt. Hier geht es um 194 Gramm Zucker und 9,7 Gramm Säure. Mir war der Wein  etwas zu fett und zu süß – die Beerenauslese hat gewonnen. Bald steht bei Schmitts im Julianenhof ein Generationswechsel an – man darf gespannt sein. 

Roter Hang, Nierstein – gerne wieder! 

 


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