Der kultige italienische Weinführer Gambero Rosso präsentierte wie schon 2019 auch 2020 in Berlin seine neueste Ausgabe. Es ist das Standardwerk für Fans italienischer Weine. In Blindverkostungen werden für den Gambero jährlich rund 45.000 Weine Italiens getestet. 22.000 von rund 2500 Weingütern haben es in die Ausgabe 2020 geschafft. Die Zahl der verteilten Gläser (bicchiere) steht für diese Qualitäten: 1 Glas für gute Weine, 2 Gläser für sehr gute bis ausgezeichnete Weine, 3 Gläser für herausragende Tropfen.
Jedes Jahr werden vom Gambero Rosso auch Spezialpreise (Awards) vergeben, zum Beispiel für Nachhaltigkeit oder soziales Engagement. Löblich. Dass diese ausgezeichneten Weine 3-Gläser-Weine sind, versteht sich. So interessant wie die Weine selbst sind die Geschichten dazu. Diesmal spielt sogar die Mafia eine Rolle, aber auch große Poesie. Die Sieger der elf Kategorien:

„Schaumwein des Jahres“

Sorelle Bronca, Venetien
Valdobbiadene Brut Naturale Particella 232
Kommt aus dem Herzen des Prosecco-Gebietes. Das Weingut ist ein Familienbetrieb, geführt von den Schwestern Ersiliana und Antonella Bronca. Hervorzuheben ist, dass die Bronca-Schwestern auf Prosecco-Monokultur verzichten, sondern auf dem 24 Hektar-Areal auch Olivenbäume, rote Rebsorten und Laubbäume stehen. Die Weine werden parzellenweise versektet, das macht sie speziell. Im Glas exotische Früchte und florale Aromen, dazu knackig trocken – schmeckt. 

„Weißwein des Jahres“

Cantine Lynae Basoni, Ligurien
Colli di Lui Vermentino Lunae Et. Nera 2018
„In seiner aromatischen Auslegung sehr explosiv und schenkt große Harmonie und eine elegante Frucht“, heißt es in der Begründung über diesen Vermentino aus Ligurien. Und als bei der Präsentation Marco Sabellico, einer der beiden Gambero-Herausgeber, von einer „Hochzeit“ dieses Weines mit Spaghetti Vongole schwärmte, war das mehr als nachvollziehbar. Doch Spaghetti Vongole gab’s nicht. dafür gab der Weine solo doch Rätsel auf. Gewiss, ein sehr schöner Wein, aber mir hat die letzte Begeisterung gefehlt. 2 Gläser hätten auch gereicht.

Award Sozialprojekt

Centopassi, Sizilien
Sicilia Catarratto Terre Rosse di Giabbascio 2018
Der Wein mit der spektakulärsten Story. Die Genossenschaft Centopassi (mehrere junge Winzer) betreibt auf 94 Hektar biologischen Weinbau. Die Rebfläche südlich von Palermo ist konfiszierter Mafia-Besitz, vom Staat der Genossenschaft zur Bewirtschaftung überlassen. Auch die Kellerei in San Giuseppe Jato ist eine beschlagnahmte Immobilie. Centopassi heißt hundert Schritte – das ist die Entfernung vom Wohnhaus eines Journalisten, der über die Mafia recherchiert und geschrieben hat, und dem Haus eines Mafiosi, seines Mörders. Der Wein? Catarratto ist eine weiße Sorte, würzig, saftig, süffig mit grünen, krautigen Noten, viel Charisma. Macht Spaß – zusammen mit der Story sind die 3 Gläser nachvollziehbar.

„Winzer des Jahres“

Andrea Felici, Marken
Castelli di Jesi Verdicchio Cl. Il Canino della Figura Res. 2016
Mit 12 Hektar ein eher kleines Weingut in abgeschiedener Lage. Umso erfreulicher die Würdigung. Winzer Leonardo Felici wird ob seiner Ideen und Arbeitsweise (Reifung der Weine in Stahl und Zement, klarer Stil etc.) von den Gambero-Juroren mit viel Lob überschüttet.  Der 3-Gläser-Wein Verdicchio della Figura Riserva sei „ein authentisches Meisterwerk von Finesse und Stil“. Etwas dick aufgetragen? Finde den Wein aber auch sehr gut, schön cremig und ausdrucksstark. Hat mit Sicherheit noch ein sehr langes Leben. 

„Rosé des Jahres“

Torre dei Beati, Abruzzen
Cerasuolo d’Abruzzo Rosa-ae 2018 
Kommt von einem 20 Hektar Bio-Weingut, das zwei Enthusiasten sein 1999 betreiben.  Die Farbe fällt auf, ein intensives rot. In Deutschland würde der Rosé als Rotwein durchgehen. „Nach Blumen, roten Früchten und Granatapfel offenbar sich die geräucherte und erdige Note des Montepulciano“, heißt es blumig in der Weinbeschreibung. Sehr trocken, wäre noch zu ergänzen. Passt also nicht gerade in das fruchtig-erdbeerig-süßliche Schema der Rosés, die hierzulande so erfolgreich sind. Aber gerade das macht ihn interessant. 

„Aufsteiger des Jahres“

Tenuta Santa Caterina, Piemont
Grignolino d’Asti M 2013
Der Familienbetrieb bewirtschaftet 23 Hektar und bekam nun erstmals 3 Gläser verliehen. Und zwar für den Grignolino, einer fast verschwundenen und wiederentdeckten roten Rebsorte. Die wurde traditionell ausgebaut, bedeutet extrem lange Reife. Ein besonderer Wein, mit einer üppigen Vielfalt an Aromen in Nase und Gaumen. Hat noch reichlich Gerbstoffe. Autochthon im besten Sinne und nichts für den Weltweingeschmack. 

Award für Bestes Preis-Leistungs-Verhältnis 

Pico Maccario, Piemont
Barbera d’Asti Lavignone 2018
Ein blitzsauberer Barbera mit seinen besten Eigenschaften. Macht viel Spaß, fruchtig, nicht langweilig, schöner Trinkfluss. Der Barbara kommt aus einem 70-Hektar-Betrieb in Mombaruzzo. Der Wein kostet in Italien angeblich lediglich 4 bis 5 Euro, das ist sensationell günstig. Ist dringend nachzuprüfen! Dafür 3 Gläser? Aber ja – zwei für den Wein selbst plus ein Glas Bonus für den Preis. 

Award für nachhaltigen Weinbau 

Produttori di Manduria, Apulien
Primitivo di Manduria Lirica 2017
Die 1932 entstandene Genossenschaft (400 Mitglieder) bewirtschaftet knapp 1000 Hektar. Und  das offenbar hochmodern und nach „strengen Protokollen zu Gunsten der Nachhaltigkeit“, wie es im Gambero Rosso begründet wird. „Alles zertifiziert und nachgeprüft“, schwört Marco Sabellico. Der prämierte Wein ist ein feines Beispiel für einen Primitivo – vollmundig, fruchtig, von schöner Länge, nicht langweilig. 3 Gläser? Warum nicht. 

„Weingut des Jahres“

Frescobaldi, Toskana
Chianti Classico Selezione I Rialzi 2015 – Tenuta Perano
Die Auszeichnung scheint irgendwie eine Würdigung des „Lebenswerks“ dieses Weinbetriebes. Schließlich ist Frescobaldi seit 700 Jahren mit mehreren Betrieben im Geschäft und hat eine Vielzahl  großer Weinen erzeugt. Der berühmte Ornellaia ist nur ein Beispiel. Die Tenuta Perano wurde erst kürzlich als siebtes Anwesen von Frescobaldi erworben. Der Chianti Classico erfüllt alle Kriterien  – elegant, tiefgründig, komplex. Begeisterung für Chiantis kann sich trotz des gewiss feinen Weines bei mir aber noch immer nicht so recht einstellen.

„Rotwein des Jahres“  

Piaggia, Toskana
Carmignano Riserva 2016
Gilt als die wichtigste Kategorie. Carmignano ist eine Gemeinde in der Nähe von Prato, ein kleines, aber umso feineres Gebiet. Der Familienbetrieb Piaggia unter Führung von Silvia Vannucci bewirtschaftet nur 15 Hektar, bringt aber beständig Weine auf höchstem Niveau hervor. Seit 10 Jahren wird der Carmignano Riserva – eine Cuvee aus Sangiovese und Cabernet Sauvignon  – mit 3 Gläsern geadelt. Der Wein mit seinen herrlichen Aromen nach Kirsche und Pflaumen, den seidigen Tanninen und dem Hauch Vanille und, und, und ist wirklich großartig. Würde 4 Gläser vergeben. 

„Süßwein des Jahres“ 

Cantina Toblino, Trentino
Trentino Vino Santo 2003
Mit viel Schwermut vermerkt Marco Sabellico, dass die Süßweine am verschwinden sind. Sie werden immer weniger getrunken. „Wir verlieren kostbare Dinge!“  Etwas wirklich kostbares ist der Vino Santo (der Name Vin Santo ist für die Toskana geschützt) tatsächlich. Basis ist die Rebsorte Nosiola, der Wein wurde nach dem Trocknen der Trauben oxidativ ausgebaut und ist kaum zu beschreiben. Perfekte Süße-Säure-Balance, einfach umwerfend. Marco Sabellico bringt es auf den Punkt: „Das ist Grande Poesia.“ Auch hier reichen 3 Gläser nicht. 

Marco Sabellico, einer der beiden Herausgeber des Gambero Rosso


1 Kommentar

Karoline · 04/02/2020 um 15:45

Der günstige Barbara war hyperlecker!!!

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